Sozialästhetik und Mental Health

Begriffstbestimmung Social Aesthetics

Die Sozialästhetik (Berleant 2005) ist eine Ästhetik der gelebten und erlebten sozialen Situation. Als damit immer auch kontextuale Ästhetik entstammt sie der Ästhetik des Alltags (Light & Smith 2005), die sich ihrerseits als eine Umweltästhetik (Berleant 1992) bzw. ökologische Ästhetik (Böhme 2001) versteht und zahlreiche Überschneidungen mit der modernen phänomenologischen Ästhetik (Sepp & Embree 2010) aufweist. Es steht hier nicht mehr nur der Nutzen und die Nützlichkeit des uns im Alltag Gegebenen im Mittelpunkt des Interesses sondern vielmehr die mannigfachen Gesichtspunkte des uns umgebenden und gegen überstehenden Schönen in all seinen positiven und negativen Wirkungen vom Bewundernswerten und Erhabenen bis hin zum Verachtenswerten und Verabscheuungswürdigen auf uns Menschen. Der Mensch wird dabei als ein soziales Wesen aufgefasst, das sich im Mit-sein mit dem Anderen konstituiert und manifestiert. Als Menschen sind wir immer und überall soziale Wesen, sodass sich auch nicht mehr die Frage danach stellt ob wir sozial leben sondern vielmehr nur, wie wir sozial leben (Musalek & Poltrum 2011). Diese Frage nach dem Wie – wie wir unser gemeinsames Leben erleben und gestalten – bestimmt damit das zentrale Forschungs- und Betätigungsfeld der Sozialästhetik: Im Sinne einer sozialen Aisthesis gilt es in der sozialästhetischen Forschung, die Art und Weise unseres Zusammenlebens, die Gestaltungsformen und -möglichkeiten des menschlichen Zusammenlebens und ihre Wirkungen auf unser Sensorium und auf unsere Erlebnisfähigkeiten und Wahrnehmungsmöglichkeiten auszuleuchten und zu verstehen, um damit die Grundlage für eine gedeihliche Entfaltung des Einzelnen in unserer Gemeinschaft und eine Weiterentwicklung des menschlichen Zusammenlebens insgesamt zu ermöglichen.

Begriffsbestimmung Mental Health

Die WHO definiert Gesundheit nicht nur als Abwesenheit von Krankheit sondern darüber hinausreichend als völliges körperliches, psychisches und soziales Wohlsein (WHO 1947). Da Krankheit heute in der Regel als Dysfunktion bzw. Funktions-minderung begriffen wird, kann sich psychisches Wohlsein auch nicht allein auf ein Funktionieren in psychischen Teilbereichen beziehen, womit sich aber die Frage stellt, wann nun psychische Gesundheit im Sinne psychischen Wohlseins erreicht ist. Die WHO (2013) führt zu psychischer Gesundheit (mental health ) aus, dass sie dann gegeben ist, wenn ein Umstand des Wohlseins eintritt indem sich das Individuum seiner Potentiale insofern bedienen kann als es nicht nur mit normalen Stresssituationen fertig wird sondern auch produktiv und fruchtbar arbeiten kann, um auf diese Weise seinen Beitrag zu einer gelingenden Gemeinschaft zu leisten. Whitbeck (1981) verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass Gesundheit hier als die Fähigkeit autonom Aktivitäten zu setzen und an der Gemeinschaft teilzuhaben, verstanden wird. Diese Fähigkeit autonom aktiv zu sein ist dem gleichzusetzen, was Gernot Böhme (2012) unter einer souveränen Lebensführung versteht: der Einzelne ist fähig in den ihm vorgegebenen Lebensumständen selbstbestimmt und souverän zu agieren, zu reagieren und zu gestalten. Nordenfeldt (1992) geht über den Autonomieanspruch Whitbecks hinaus, wenn er sagt, dass es nicht nur um das Setzen von Aktivitäten geht sondern vor allem auch um das Setzen von vitalen Zielen („vital goals“). Diese vitalen Ziele sind für ihn alle Angelegenheiten, die für die Realisierung eines im wesentlichen freudvollen Lebens nötig sind. Damit wird auch deutlich, dass wir dann von psychischer Gesundheit sprechen können, wenn ein Zustand erreicht ist, der es dem einzelnen möglich macht, sein Leben im wesentlichen autonom bzw. souverän zu führen und es auch weitgehend freudvoll zu erleben (Musalek 2013).

Begriffsbestimmung Institut für Social Aesthetics and Mental Health

Die Hauptaufgaben des Instituts für Social Aesthetics and Mental Health liegen demnach in der Beschäftigung mit all jenen Forschungsgebieten und Lehrfeldern, die am Schnittpunkt bzw. an den Überschneidungsflächen der Interessensgebiete der Sozialästhetik- und jener der Mental Health-Forschung zu lokalisieren sind. Das Institut für Sozialästhetik fokussiert als interdisziplinär angelegtes Forschungsinstitut und als universitäre Lehreinrichtung auf all jene ästhetischen Aspekte, Fundamente und Dimensionen der Gesundheitswissenschaften – insbesondere der Medizin, Psychologie und Psychotherapie – die als Wissensgrundlage für die Entwicklung einer human-basierten Medizin unabdingbar sind. Es ist das Wie im Umgang mit dem Leben und mit den Mit-Menschen, das Hauptgegenstand der wissenschaftlichen Bemühungen und Lehraktivitäten des Instituts ist. Dieses Wissen um das Wie in unserem Zusammenleben im allgemeinen und in der prophylaktischen und kurativen Medizin im besonderen liefert auch die unverzichtbare sozialästhetische Grundlage für ein human-basiertes und -fokussiertes therapeutisches Handeln, bei dem der Mensch wieder zum Maß aller Dinge und Aktivitäten wird.

Die europäische Geistesgeschichte lehrt uns, dass das Schöne nicht nur Zierleiste des Lebens, sondern ganz wesentlich auch Kraftquelle unseres Lebens ist. (Musalek & Poltrum 2011) Darüber hinaus ist die positiv ästhetische Erfahrung aber auch heilsam. Dass das Schöne als hoch wirksames Gegenmittel gegen das Leiden am Leben, also quasi auch als Antidepressivum wirkt, ist in der Tradition der philosophischen Ästhetik von Platon bis Adorno verbürgt. Eine Sozialästhetik, die auch als Wissenschaft des Schönen in zwischenmenschlichen Beziehungen verstanden werden will, stellt uns ein Wissen zur Verfügung, das in der medizinisch-therapeutische Praxis zum wesentlichen Fundament von human-zentrierten Prophylaxe- und Behandlungsansätzen wird. Themen die das Institut wissenschaftlich bearbeitet, empirisch evaluiert, lehrt und in die klinische Praxis umsetzt sind z.B. die Kultivierung von Patientenkontakten und
-interaktionen, die Dekonstruktion von Interaktionsgrenzen, das Schaffen von angstfreien und gesundheitsfördernden Atmosphären, das Einführen von Humanität in leere Patientenrituale, die Sensibilisierung für Wahrnehmungen und Erfahrungen des Schönen oder das Eröffnen von ästhetischen Zukunftsperspektiven für Gesunde zur Krankheitsprophylaxe und für Kranke zur Behandlungsunterstützung.

Hauptinteressensfelder der sozialästhetischen Mental Health Forschung sind im Bereich der Krankheitsprophylaxe und -(früh)erkennung die Eleganz der Diagnostik, der Stil des Erstkontakts, die Paraverbalität der Exploration, Narrationen vs. Wahrheit, Bedeutungen/Mythen/Stigmata, Zeitlichkeitsaspekte (Chronos/Kairos) der Störungen, Möglichkeiten/Unmöglichkeiten des Einzelnen (Utopos) sowie Masken und Portraits, etc. und im Bereich der Behandlung die Attraktivität von Behandlungsformen,
(sozial-)ästhetische Therapiezielsetzungen, Lebensattraktivität/Lebensschönheit, Aufmerksamkeit/Achtsamkeit , Autonomie/Selbst-Sorge/Souverintät, Kosmopoiesis – Kosmopoetik, etc.